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Verlorene Zauber: Die Hexen von White Haven 1 (Gebundene Ausgabe)

Verlorene Zauber: Die Hexen von White Haven 1 (Gebundene Ausgabe)

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Hardback

Hexenwerk, dunkle Geheimnisse und Dämonen. Niemand ist in White Haven sicher.

Avery, eine der fünf Hexen von White Haven, praktiziert ihre Magie allein und arbeitet tagsüber in ihrer Buchhandlung. Sie weigert sich, dem Hexenzirkel beizutreten.

Doch wenige Tage vor Litha, der Sommersonnenwende, hinterlässt ihr eine verstorbene Kundin eine mit Runen verzierte Schatulle und einen faszinierenden Brief, der enthüllt, dass den Hexen ein entscheidender Teil ihrer Geschichte fehlt. Diese Nachricht bringt ihr geordnetes Leben völlig durcheinander.

In der Stadt sind fünf alte Familien-Grimoires versteckt, und auf ihren Seiten verbirgt sich ein Geheimnis.

Avery kann einem geheimnisvollen Rätsel nicht widerstehen und ist fest entschlossen, sie zu finden. Die Tarotkarten sagen jedoch Gefahr voraus, und als eine männliche Hexe – der attraktive, aber nervige Alex Bonneville – die gleiche Vorahnung hat, ist klar, dass ein unbekannter Feind entschlossen ist, sie mit allen Mitteln daran zu hindern, ihre Mission zu erfüllen.

Avery schreckt vor keinem Kampf zurück, und Alex lässt sie nicht allein kämpfen. 

Doch als White Haven zu einem Schlachtfeld der Magie und Dämonen wird, wird das Leben der Hexen für immer verändert.

Verlorene Zauber ist perfekt für Fans von paranormalen Mystery-Geschichten, die authentische Hexerei und Magie, eine sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte, englischen Humor, eine wunderschöne Kulisse in Cornwall mit vielen Mythen und jede Menge Action lieben. Schließe dich dem Hexenzirkel an und hole dir jetzt Verlorene Zauber!

***Diese Geschichte geht in Band 2 – Ungezähmte Magie – weiter. Alle weiteren Bände beinhalten in sich abgeschlossene Geschichten.

Size: 5.5" x 8.5"

READ A SAMPLE

1
Am liebsten legte Avery ihre Tarotkarten bei Vollmond. Und zwar im Freien, wenn das Wetter es erlaubte, was heute der Fall war. Es war Mitte Juni und heiß. Der intensive Duft von Erde stieg ihr in die Nase, während der Wind sie mit Lavendelduft umwehte.
Sie saß an ihrem Gartentisch. Der mit Ziegeln gepflasterte Innenhof war in sanftes Silberlicht getaucht und der Garten dahinter war voller Pflanzen, die trotz des Vollmondes im Zwielicht verborgen waren. Zu sehen waren einzig die weißen Rosen, die aus den Beeten herausragten, und die Kieswege, die sich um diese Beete schlängelten.
Am Tag, der diesem Abend vorausgegangen war, hatte sie eine Veränderung im normalen Pfad ihres Lebens erahnt – und dieser Vorahnung musste sie unbedingt nachgehen. Es war ihrer jahrelangen Erfahrung zu verdanken, dass sie nun ruhig dasaß, die Karten mischte und sie dann kreuzförmig vor sich auslegte, bevor sie sie eine nach der anderen umdrehte – und erschauderte. Eine Veränderung stand bevor, und mit dieser Veränderung kam auch die Gefahr. Das prophezeiten die Karten und darüber hinaus konnte sie es auch selbst spüren. Es würde schon bald geschehen.
Ein wenig ratlos lehnte sich Avery zurück und erschrak dann, als sie das Klicken des Gartentors hörte, das geöffnet wurde. Es handelte sich um Alex, eine männliche Hexe. Sie erkannte ihn an seinem Duft und den Geräuschen, die er machte. Ihre Ratlosigkeit darüber, was die Tarotkarten offenbart hatten, wich der Neugier.
Er stellte sich vor sie, und da der Mond hinter ihm stand, konnte sie sein Gesicht nicht sehen und er tauchte sie in seinen Schatten. Er war groß und breitschultrig, von schlanker, muskulöser Gestalt. Es war fast so, als wäre eine Mauer zwischen sie und den Mond getreten.
„Was willst du, Alex?“
„Was für eine wunderbare Begrüßung, Avery“, bemerkte er mit ruhiger Stimme. Er zog einen der Stühle heraus und setzte sich ihr gegenüber hin, wobei er ihre Karten betrachtete. „Du spürst das also auch.“
„Was soll ich spüren?“
„Das weißt du doch genau.“ Er klang jetzt ungeduldig. „Es kommt etwas auf uns zu. Bist du nicht der Meinung, wir sollten zusammenarbeiten?“
„Nein.“
Er lehnte sich zurück und setzte sich so hin, dass das Mondlicht auf sein Gesicht fiel, wodurch sein Dreitagebart und sein langes, dunkles Haar, das ihm bis knapp über die Schultern reichte, zu sehen waren. „Das ist doch lächerlich. Du hast keinerlei Grund dazu, mir zu misstrauen.“
So leicht würde sie es ihm nicht machen. „Ich habe auch keinerlei Grund dazu, dir zu vertrauen. Du warst jahrelang verschwunden und bist plötzlich zurückgekehrt. Ich weiß nicht mal mehr, wer du bist.“
„Ich bin noch immer der, der ich immer war. Für manche Leute ist es normal, auf Reisen zu gehen, weißt du? So ist das Leben nun mal!“
Und selbst nach all dieser Zeit war Alex immer noch in der Lage, mit seiner verdammten Überheblichkeit ihr Blut vor Wut zum Kochen zu bringen. Am liebsten hätte sie ihm irgendwas entgegengeschleudert, vielleicht einen Blitz? „Was willst du hier?“
Sie starrten einander über den Tisch hinweg an, wobei Avery nur ein Glitzern des Mondlichts in seinen Augen sehen konnte, bis er mit erzwungener Geduld sagte: „Es leben jetzt fünf von uns Hexen hier in White Haven, fünf von uns, die der alten Magie mächtig sind. Wir sollten ein Treffen organisieren. Unsere Kräfte bündeln. Und es ist mir schleierhaft, warum ihr das noch nicht getan habt.“
„Bis jetzt bestand noch nicht die Notwendigkeit, einen Hexenzirkel zu gründen und ich für meinen Teil arbeite gern allein.“ Innerlich schalt sie sich selbst. Warum hörte sich das so defensiv an? Schließlich war es völlig in Ordnung, allein zu arbeiten.
„Ich habe mit Elspeth gesprochen. Sie hätte nichts gegen einen Hexenzirkel einzuwenden.“
Avery verdrehte die Augen. „Natürlich hätte sie nichts dagegen einzuwenden.“
„Das ist doch in Ordnung! Wir können Ideen und Stärken teilen.“
„Wir sind alles Hexen! Warum sollten wir unsere Stärken teilen?“
„Oh, mal sehen“, seufzte er. „El kann Metall umformen, und zwar hervorragend. Metall und Edelsteine. Besser als jeder andere von uns. Hast du gesehen, was sie in letzter Zeit geschaffen hat?“
„Nein.“
„Das solltest du aber. Und was für uns besonders nützlich ist: Sie kann einen Athame und andere nützliche Gegenstände, die wir in unseren Ritualen verwenden, mit Magie versehen.“
„Das kann ich auch“, entgegnete sie ungeduldig, „wir alle können das. Wir sind Hexen.“
„Aber wir können es nicht so gut wie sie“, erklärte er mit Nachdruck. „Und Briar ist hervorragend im Umgang mit Kräutern und in der Heilkunst. Besser als wir alle“, fügte er hinzu und unterbrach sie, bevor sie protestieren konnte. „Gil ist besonders gut in der Wassermagie. Und dann gibt es noch dich.“ Er hielt inne und sah sie nur an, sein Gesichtsausdruck unergründlich. Er machte sie nervös.
„Was ist mit mir?“ Sie ärgerte sich über ihn, weil er so logisch dachte, und sie spürte, wie der Wind um sie herum aufkam, als ihr Ärger zunahm.
Er lachte, und das Weiß seiner Zähne hob sich hell von seinem Gesicht ab, das im Dunklen lag. Er sah sich um, und Strähnen seines Haares wurden ihm von einer Brise ums Gesicht geweht. „Mache ich dich wütend? Ich bin sicher, dass du es bist, die diesen Wind verursacht.“
Sie runzelte die Stirn und unterbrach ihre Konzentration, woraufhin der Wind sofort abflaute.
„Luft. Du kannst sie so mühelos kontrollieren. Und neue Beschwörungen, deine Intuition – das sind deine Stärken.“
Seine Kenntnis über sie brachte sie so sehr aus der Fassung, dass sie sarkastisch reagierte. „Und was kannst du, Alex? Was kannst du einbringen?“
„Meine Fähigkeit, hellzusehen, zu prophezeien, meine astralen Kräfte. Und Feuer.“ Er warf einen Blick auf die Kerze, die auf der Seite des Tisches stand und nicht brannte. Plötzlich flammte sie auf, die Flamme schoss einen Meter in die Luft, bevor sie sich zu einer kleinen, orangefarbenen Flamme entwickelte. Das Licht fiel auf sein Grinsen. „Ich brenne heiß, Avery. Das ist besonders praktisch in kalten Nächten.“
„Wie schön“, entgegnete sie und versuchte, die Bilder zu verdrängen, die vor ihrem geistigen Auge auftauchten. Sie löschte die Flamme so schnell, wie er sie entzündet hatte, und der Rauch stieg zwischen ihnen auf.
Er beugte sich vor. „Ich berufe eine Versammlung ein. Die anderen sollten wissen, dass wir etwas wahrgenommen haben. Wir müssen auf der Hut sein. Bei mir, heute Abend um zehn Uhr.“ Er stand auf und verdeckte noch einmal kurz den Mond, bevor er mit großen Schritten zum Tor ging. „Übrigens, die Schutzzauber um dein Haus müssen verstärkt werden. Bis später, Avery.“
Alex war 29, ein Jahr älter als sie, und sie waren auf dieselben Schulen gegangen und hatten dieselben Kräfte, und doch machte er sie rasend. Sie sah ihm nach, dann blickte sie zum Mond auf und hätte am liebsten geschrien, aber der Mond gebot ihr zu schweigen, also raffte sie die Karten zusammen, mischte sie und legte sie erneut aus.


2

Avery wachte im Morgengrauen aus einem unruhigen Schlaf auf, das spärliche Licht drang durch die Vorhänge im Schlafzimmer. Sie hatte mehr an Alex gedacht als an die ominöse Prophezeiung, und das ärgerte sie besonders. Sie hasste es, dass er sich einfach in ihre Gedanken schlich und sich dort einnistete.
Auf dem Weg zur Arbeit war sie gereizt. Sie arbeitete in einem Buchladen namens Happenstance Books, den sie zusammen mit dem dazugehörigen Gebäude von ihrer Großmutter geerbt hatte. Der Laden führte neue und gebrauchte Bücher, Belletristik, Sachbücher und Esoterik – Hexerei, Wahrsagerei, Engel, Teufel und alles dazwischen – sowie Tarotkarten, Räucherstäbchen, Grußkarten, Postkarten und andere okkultistische Gegenstände. Der Laden lag gut, auf halber Höhe einer kleinen Seitenstraße, die vom Meer heraufkam, und eingekeilt zwischen einem Café und einem Geschenkeladen, der Touristen mit Souvenirs aus der Region lockte. Er war mit hohen Regalen ausgestattet, die sich um die Wände und durch die Mitte zogen und den Innenraum in schmale Gänge unterteilte. Eine Auswahl an bequemen Stühlen und ein kleines Sofa waren an strategischen Stellen platziert, um zum Lesen und Verweilen einzuladen, und es roch angenehm nach altem Papier, Kaffee und Weihrauch.
Sally, die zugleich ihre Freundin und auch die Filialleiterin war, war bereits im Lagerraum im hinteren Teil des Ladens und packte eine Kiste mit alten Büchern aus, die Avery vor einer Woche von einer Haushaltsauflösung mitgebracht hatte. Sie wusste, dass Avery eine Hexe war, auch wenn sie sie nie so nannte. Nach all den Jahren der Freundschaft war es unvermeidlich, dass sie es wusste, obwohl Avery so tat, als wäre es etwas viel Unverbindlicheres, als es in Wirklichkeit war, und Sally ließ sie damit davonkommen.
Sally hob den Kopf und lächelte. „Du bist früh dran! Hat dich jemand aus dem Bett geschmissen?“
„Sehr witzig! Schlecht geschlafen. Und du?“
„Du kennst mich doch, ich bin Frühaufsteherin. Der Kaffee ist fertig, wenn du einen möchtest.“
„Ich möchte nicht nur einen Kaffee, ich brauche einen!“, erklärte sie und ging in die kleine Küche, wo sie den Duft des Kaffees genüsslich einatmete. Sie zögerte einen Moment und rief dann: „Alex hat mich gestern Abend besucht.“
Es wurde still, als das Rascheln der Bücher verstummte, und Sally kam zur Tür und lehnte sich an den Rahmen. „Ich dachte, ihr versteht euch nicht?“
„Tun wir auch nicht, irgendwie. Aber er hat das Gleiche gespürt wie ich.“ Sie sah sie an und überlegte, was sie preisgeben sollte. Am Ende erzählte sie ihr einfach alles. „Ich habe gestern Abend die Tarotkarten gelegt und etwas gesehen. Etwas Dunkles. Ich habe keine Ahnung, was es war, aber Alex hat es auch gesehen. Er kam, um mit mir zu reden. Um zwei Uhr morgens!“
„Er wusste also, dass du noch auf bist“, hakte Sally nach und zog fragend die Augenbrauen hoch. „Habt ihr zwei eine übersinnliche Verbindung?“
Avery schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen die Theke und nahm einen Schluck Kaffee. Süß und stark, genau wie sie ihn mochte. Vielleicht würde sie sich bald wieder wie ein Mensch fühlen. „Nein! Das hoffe ich zumindest. Es ist ausgesprochen irritierend.“
Sally lehnte sich an den Türrahmen. „Ich mag ihn, ich verstehe nicht, warum du ihn nicht magst. Er ist ehrlich und betreibt einen tollen Pub! Er hat gerade einen hervorragenden Koch. Warst du schon mal da?“
„Nein, nicht seit er wieder hier ist.“
„Bist du sicher, dass zwischen euch beiden nichts gelaufen ist?“
Avery verdrehte die Augen. „Nein. Jedenfalls will er heute Abend in seinem Pub mit uns reden. Er hat ein Treffen mit den anderen einberufen.“ Sally wusste genau, wen sie mit den anderen meinte.
„Das ist wahrscheinlich eine gute Idee“, nickte Sally. „Gemeinsam ist man stark.“
„Oh, fang du nicht auch noch an.“
Sally grinste und fuhr sich mit der Hand durch ihr blondes Haar. „Ich würde nicht zögern, wenn Alex mich einladen würde. Er sieht verdammt gut aus.“
„Und er weiß das. Außerdem bist du verheiratet und hast zwei Kinder!“
Sally hatte ihren Jugendfreund im Alter von zwanzig Jahren geheiratet, und schon nach ein paar Jahren hatten sie ihr erstes Kind bekommen, dem schnell ein zweites gefolgt war. Avery hatte keine Ahnung, wie sie es schaffte, den Laden und ihr Familienleben so effizient unter einen Hut zu bekommen.
„Ich meinte, wenn ich Single wäre!“ Sally wechselte das Thema und sah leicht besorgt aus. „Also, ist das ernst, was du und Alex gesehen habt? Du hast so etwas noch nie erwähnt.“
Avery bereute sofort, etwas gesagt zu haben, und schüttelte den Kopf. „Nein, wahrscheinlich nicht. Ich habe wahrscheinlich eine Rivalin, die eine neue Buchhandlung eröffnet. Ich bin sicher, dass alles in Ordnung ist. Es war nur irgendwie unheimlich, dass Alex aufgetaucht ist, und ich habe wahrscheinlich mehr hineingelesen, als ich hätte tun sollen. Aber egal, ist etwas Gutes in der Kiste?“
Sally ging wieder in den Lagerraum. Avery folgte ihr, und zog ein Buch aus der Kiste, die sie gerade ausgepackt hatte. „Alte Ausgaben der Klassiker, aber nichts wirklich Aufregendes. Jedenfalls noch nicht. Ich muss später noch bei jemandem Bücher abholen. Es sei denn, du willst das übernehmen? Eine von uns muss die Lagerbestände aktualisieren.“ Sie lächelte, denn sie wusste, dass Avery die Bestandsaufnahme hasste.
Avery lächelte: „Ich würde gern diese Kisten abholen! Danke, Sally. Wohin muss ich?“
„Erinnerst du dich an die kleine alte Dame, die manchmal herkam? Anne? Sie war eine Art Lokalhistorikerin.“
„Ja, ich glaube schon.“ Avery versuchte, es nicht zu wichtig zu nehmen, aber sie erinnerte sich an sie. Menschen, die in der Geschichte der Stadt nachforschten, bereiteten ihr immer Sorgen. Sie wollte nicht, dass sie etwas herausfanden, das sie lieber geheim halten wollte. Sie war Anne gegenüber höflich gewesen, hatte aber ansonsten versucht, auf Distanz zu bleiben.
„Nun, sie ist vor ein paar Wochen gestorben und hat uns ein paar Bücher hinterlassen.“
„Oh“, plötzlich fühlte sich Avery schlecht und auch ein wenig erleichtert. „Das tut mir leid. Sicher, ich fahre dorthin. Wer hat das arrangiert?“
„Ihr Sohn Paul. Ich habe ihn nicht persönlich kennengelernt, er hat nur angerufen. Ich habe vereinbart, sie am Vormittag bei ihr zu Hause abzuholen. Alles in Ordnung, Avery? Du siehst etwas merkwürdig aus.“
Das Gefühl der Unruhe war wie eine Flutwelle über sie hereingebrochen, und Avery war schwindelig. „Nein, mir geht es gut, ich habe schlecht geschlafen, schon vergessen? Ich brauche mehr Kaffee.“ Sie ging zurück in die Küche und versuchte, ihre Besorgnis zu verdrängen.

***
Avery hielt vor einem großen, alten Haus, das auf einer Anhöhe am Stadtrand lag und von dem aus man aufs Meer blicken konnte. Als sie es sah, durchlief sie ein Schauder. Etwas hatte ihre Hexensinne alarmiert, etwas Magisches. Es war nur ein Hauch, aber der war deutlich zu spüren.
Nachdenklich betrachtete sie das Haus. Anne hatte keinerlei Anzeichen von Magie gezeigt, warum konnte sie also hier etwas spüren? Und was war mit ihrem Sohn Paul? Sie waren mit Sicherheit nicht mit den anderen vier Hexen in der Stadt verwandt, und sie war sich ziemlich sicher, dass es keine weiteren gab. War dies eine Falle? Aber wenn er eine männliche Hexe gewesen wäre, hätte er doch sicher versucht, die magischen Schwaden, die sie wahrnahm, zu verbergen.
Das Haus war aus dem hellen, cremefarbenen Stein erbaut, aus dem auch viele andere Häuser in der Gegend gebaut worden waren, genau wie die alten Steinmauern, die die Felder und Wege säumten. Er lag an einer mit Büschen und Bäumen überwucherten Zufahrt. Das Pflaster war rissig, die Farbe an den Tür- und Fensterrahmen blätterte ab, und das ganze Haus sah aus, als müsste es dringend renoviert werden. Früher war dieses Haus eines der begehrtesten Häuser in White Haven gewesen, und wahrscheinlich würde es das auch wieder werden, nachdem eine Menge Geld in die Renovierung gesteckt worden war. Sie blickte die Straße entlang. Alle anderen Häuser hier waren in einem viel besseren Zustand. Sie war sich sicher, dass die Nachbarn es kaum erwarten konnten, dass die Renovierung endlich losging. Aber verbarg sich hinter der rissigen Fassade vielleicht noch etwas anderes?
Sie saß ein paar Minuten da, beobachtete das Haus und versuchte, eine Bedrohung zu erkennen, aber außer dem Hauch von Magie spürte sie nichts.
Avery schaute in den Rückspiegel und überprüfte ihr Aussehen. Ihre langen, roten Haare waren offen und relativ ordentlich, und ihre hellgrünen Augen wirkten nicht mehr so müde wie am Morgen. Kaffee war etwas Wunderbares. Sie überprüfte ihr Make-up, griff nach ihrem Handy und sah nach, ob sie Nachrichten erhalten hatte, dann stieg sie aus ihrem alten grünen Bedford-Van, den sie ebenfalls von ihrer Großmutter geerbt hatte, und schloss ihn hinter sich ab. Sie glättete ihr langes, dunkelblaues Maxikleid, um einen guten Eindruck zu machen.
Als sie die Einfahrt entlangging, warf sie einen Blick in den Garten, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken, bis sie zur Eingangstür kam, wo auf beiden Seiten Kübel mit üppigen Thymian- und Salbei-Büschen standen. Gewöhnliche Pflanzen, die aber auch eine Schutzfunktion hatten. Und an der Ecke des Türrahmens sah sie eine kleine Markierung. Ein weiteres Schutzsymbol. Das Ganze wurde immer seltsamer. Sie klingelte und wartete ein paar Augenblicke, während sie ihre Finger lockerte, für den Fall, dass sie sich verteidigen musste. Schließlich hörte sie Schritte näherkommen. Die Tür schwang auf und gab den Blick auf einen gestresst wirkenden Mann in den Sechzigern frei. Er sah sie verwirrt an.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich bin Avery von Happenstance Books. Sie müssen Paul sein? Sie haben mich gebeten, die Bücher Ihrer Mutter – Anne Somersby – abzuholen. Komme ich gerade ungelegen?“ Sie lächelte aufmunternd.
„Oh ja, entschuldigen Sie, natürlich. Ich bin etwas abgelenkt – ich sortiere gerade einige Unterlagen. Kommen Sie bitte herein.“ Er beugte sich vor und schüttelte ihre Hand. „Folgen Sie mir einfach, ich zeige Ihnen die Bibliothek.“ Er lachte: „Nun, es ist nicht wirklich eine Bibliothek, aber es gibt dort eine Menge Bücher.“
Avery entspannte sich ein wenig. Sie konnte nichts Magisches oder Bedrohliches an ihm wahrnehmen. Er ging vor ihr her und führte sie durch den langen Gang zu einem Raum im hinteren Teil des Hauses, von dem aus man einen Blick auf den weitläufigen Garten hatte.
Sie blieb am Fenster stehen und sagte: „Wow, was für ein schöner Garten.“
Er lachte: „Es war ein wunderschöner Garten. Jetzt ist er ein einziges Chaos.“
Sie lachte ebenfalls. „Nun, Sie wissen, was ich meine. Der Garten wird wieder schön werden.“ Sie sah sich im Raum um, in dem sie sich befand: „Und das hier ist auch toll!“
„Sie sind eine Bücherliebhaberin. Aber in meinen Augen stellen sie nur noch mehr Zeug dar, um das ich mich kümmern muss. Aber ja. Es ist ziemlich eindrucksvoll.“
Die Decken waren hoch, und der Raum war mit schweren Eichenregalen voller Bücher gefüllt. Die wenigen nicht mit Regalen bedeckten Wände waren mit der gleichen dunklen Eiche verkleidet. Und irgendetwas verströmte Magie – Avery konnte es jetzt noch stärker spüren. Sie versuchte, ihre Aufregung zu verbergen und einen gelassenen Eindruck zu machen. „Hat Anne mir all das hinterlassen?“
Er deutete in den Raum: „Alle, aber natürlich müssen Sie nicht alle nehmen.“ Er sah verwirrt aus. „Kannten Sie sie gut?“
Avery räusperte sich verlegen. „Wenn ich ehrlich bin, eigentlich nicht. Sie kam ab und zu in den Laden, hat sich mit mir unterhalten und Bücher gekauft.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, dass sie mir die Bücher deshalb hinterlassen hat, damit ich sie mit nach Hause nehme. Es tut mir leid, dass sie gestorben ist.“
Paul lächelte traurig. „Danke, aber sie hatte ein erfülltes Leben.“ Er deutete auf die Regale. „Da sind ein paar alte Geschichtsbücher über die Stadt, die sie selbst zusammengestellt hat und die sie Ihnen unbedingt geben wollte. Sie bestand sogar darauf, bevor sie gestorben ist. Ich musste ihr versprechen, dass ich es nicht vergessen würde. Sind Sie auch ein Geschichtsfan?“
Avery versuchte, ihre Überraschung mit einer kleinen Lüge zu überspielen. „Sehr sogar. Man kann nicht in White Haven leben, ohne seine Geschichte zu lieben. In meinem Laden verkaufen wir viele Geschichtsbücher.“
Paul lachte: „Eine ziemlich düstere Geschichte, an manchen Stellen! Mit Hexen, Höhlen, Schmuggel und Schiffswracks – der Ort ist voll von seltsamen Geschichten!“
Averys Herz machte einen Sprung, als sie das Wort Hexen hörte, und sie lachte mit ihm, während sich ihr die Nackenhaare sträubten. „Das stimmt, aber das ist in vielen alten Dörfern an der Küste nicht anders, denke ich.“
Paul nickte. „Wie dem auch sei, ich mache mich besser an die Arbeit. Ich bin im Arbeitszimmer und gehe weitere Unterlagen durch.“ Er seufzte. „Sie hat alles gesammelt, wissen Sie. Möchten Sie einen Kaffee?“
„Ja, bitte, Kaffee klingt gut. Schwarz mit zwei Zucker.“
Er verschwand, und für einen Moment stand Avery einfach nur da und dachte nach, während ihr Herz heftig pochte. Sie spürte Magie, und Anne hatte sie gebeten, hierher zu kommen. Hatte sie gewusst, was sie war? Darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie wandte sich wieder den Büchern zu. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht hinüberzulaufen und sie aus den Regalen zu nehmen.
Irgendetwas war definitiv hier, ihre Hexensinne kribbelten wie verrückt. Sie überflog schnell die Regale. Sie waren vollgestopft mit alten, abgegriffenen Taschenbüchern, gebundenen Büchern und Büchern mit alten Ledereinbänden – eine Mischung aus Klassikern, Liebesromanen, Thrillern und Nachschlagewerken. Sie konzentrierte sich darauf, wo sie die Kraft der Magie besonders heftig spürte, und sah auf.
Dort, in der hinteren Ecke, auf einem Regal ganz oben, stand eine Reihe alter Bücher in Ledereinbänden. Gerade als sie einen Stuhl als Trittleiter benutzen wollte, ging die Tür auf, und Paul kam mit ihrem Kaffee herein.
„Haben Sie etwas gefunden, das Ihnen gefällt?“ , fragte er, während er den Kaffee auf einem kleinen Tischchen abstellte.
„Eine Menge Thriller und Klassiker, die sich gut verkaufen lassen und ein paar Nachschlagewerke.“ Sie versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. „Wo hat Ihre Mutter ihre Bücher denn sonst noch so herbekommen, wissen Sie das zufällig?“
„Ich habe keine Ahnung! Ich würde annehmen, dass sie sie schon vor Jahren gekauft hat. Mit zunehmendem Alter ist sie nicht mehr so oft aus dem Haus gegangen.“ Er betrachtete den überall vorhandenen Staub und den generell etwas heruntergekommenen Zustand des Zimmers seiner veralteten Inneneinrichtung. „Ich glaube nicht, dass sie etwas anderes gemacht hat, als sich Familienstammbäume anzusehen. Sie wissen ja sicher, dass sie sich sehr für die lokale Geschichte interessiert hat. Früher ist sie immer in die Bücherei gegangen, um in den Archiven herumzustöbern, und später hat sie sich dann einen Computer besorgt und dort ihre Nachforschungen angestellt.“ Bei der Erinnerung daran leuchtete sein Gesicht auf und lächelte. „Ich war ziemlich beeindruckt, als sie sich den Computer besorgt hat. Selbst im hohen Alter hat sie nie aufgehört, etwas Neues zu lernen!“ Er zeigte auf die Bücherregale. „Sie wollte vor allem, dass Sie alle Akten bekommen, die sich auf diesem Regal befinden. Sie hat sich besonders für die alt eingesessenen Familien der Gegend interessiert. Alle Informationen dazu finden Sie bestimmt in jenem Abschnitt.“
Sie hat sich für alteingesessene Familien interessiert? Erneut verspürte sie ein unangenehmes Kribbeln. Ihre Familie sowie die von Alex und Gil gehörten sicher zu den ältesten. Sie waren alle magisch. Sie hatten alle ihre Geheimnisse. „Ich werde Ausschau danach halten.“
„Es tut mir leid, aber da werden Sie sich sicher mit einer dicken Staubschicht herumschlagen müssen.“
„Das macht mir nichts aus. Ich bin das gewöhnt. Ich muss öfter Bücher aus alten Häusern abholen.“
Er nickte. „Okay, dann lass ich Sie mal machen.“
Kaum war er gegangen, zog sie einen Stuhl heran, stellte sich darauf und griff nach einer Reihe von Büchern. Nachdem sie ein paar Bände herausgezogen hatte, hatte sich eine Staubwolke um sie herum ausgebreitet, sodass sie husten und blinzeln musste. Sie nahm so viele Bücher, wie sie tragen konnte, und brachte sie zu dem Tisch am Fenster. Die Namen waren nicht sehr vielversprechend: Wildblumen bestimmen, Die Höhlensysteme des West Country, Kräuter und ihre Heilkräfte, Englisch Folklore, Legenden des Südens. Das war nicht, womit gerechnet hatte, aber trotzdem war es interessant. Sie nahm ein paar der Bücher und überflog sie, fand aber nichts Interessantes. Dann nahm sie das Buch über die Höhlensysteme und schüttelte es. Ein Schwarzweißfoto fiel heraus und auf den Boden, wobei es eine schwache Spur von Magie hinterließ.
Sie hob es auf, hielt es ins Licht und hätte es fast vor Schreck wieder fallen lassen. Auf dem Foto war ein Haus zu sehen, nicht ganz scharf, mit gepflegten Gärten und einem kleinen Wäldchen im Hintergrund. Vor dem Haus befand sich eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die ohne zu lächeln und mit finsteren Gesichtern in die Kamera starrten. Trotzdem waren sie unschwer zu erkennen. Sie kannte das Haus – es gehörte Gil. War das etwa seine Mutter? Nein, rief sie sich schnell zur Ordnung. Dazu war das Foto zu alt. Es musste sich um seine Großmutter, wenn nicht sogar seine Urgroßmutter handeln? Und bei den Kindern handelte es sich entweder um seine Mutter oder seinen Vater und einer Tante oder einen Onkel. Sie konnte sich nie daran erinnern, von wem er seine Magie geerbt hatte.
Nachdem sie sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, setzte die Enttäuschung ein. Gil war eine männliche Hexe – vielleicht stammte das Foto aus seinem Haus? Konnte sie deshalb Magie hier spüren? Sie drehte das Foto um und sah, dass jemand etwas in einer Handschrift darauf geschrieben hatte, die aussah, als wäre derjenige in Eile gewesen. „Die echten Jacksons.“
Mit zitternden Händen sah sie sich im Raum um, als ob sie beobachtet werden würde. Sie kannte Gil schon ihr ganzes Leben lang. Und sie mochte ihn, sehr sogar. Er war ihr immer so vertrauenswürdig vorgekommen, doch nun hegte sie Zweifel. Dieses Foto legte nahe, dass Gil kein echter Jackson war. Aber wenn das stimmte, wer war er dann? 

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